S.D.R. Biotec – der Prozess: ein Urteil und viele offene Fragen

Am 23. Januar 2018 endete nach nur zehn Verhandlungstagen einer der mutmaßlich größten deutschen Giftmüllskandale – mit einer Geldstrafe. Von den Vorwürfen, die die Staatsanwaltschaft gegen Jörg S., den Ex-Chef des Entsorgungsunternehmens S.D.R. Biotec, erhoben hatte, war zum Schluss nicht mehr viel übrig geblieben. Es reichte dem Landgericht Leipzig zwar, um den Angeklagten wegen „vorsätzlichen unerlaubten Betreibens einer Anlage“ zu verurteilen. Die wichtigste Frage allerdings wurde in der öffentlichen Hauptverhandlung ausgeblendet und das wahre Ausmaß des Verbrechens verbleibt damit weiter im Dunkeln.

Die Firmen, die die S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH zu ihren Kunden zählte, haben  klangvolle Namen. Der Luftfahrtkonzern EADS ist darunter, der Leuchtmittelproduzent Osram, der Energieversorger Mainova, der Haushaltsgerätehersteller AEG und die Audi AG. Alles Unternehmen, die nicht nur Flugzeuge, Glühbirnen, Strom, Waschmaschinen oder Autos erzeugen, sondern als unerwünschte Nebenprodukte auch gefährlichen Müll. Diese und viele weitere Industriefirmen nahmen deshalb die Dienste der Entsorgungsfirma aus Sachsen in Anspruch. Bei ihr konnten sie die teils giftigen Abfälle loswerden. Schon ab 70 Euro die Tonne, was unschlagbar günstig war. Die Entsorgung auf dem herkömmlichen Weg, etwa auf einer Deponie für Sondermüll, war ungleich teurer.

S.D.R. Biotec zog den Dreck geradezu an. Schlacken, Schlämme, Teere, gebrauchte Katalysatoren, Säuren, zerkleinerte Leuchtstoffröhren, Bremsbelegstäube. Auch die toxischen Reste aus der Abgasreinigung von Müllverbrennungsöfen gelangten in rauen Mengen nach Pohritzsch, wo das Unternehmen seit dem Jahr 1999 eine sogenannte Abfallimmobilisierungs-Anlage betrieb. Mit dieser Anlage, so referierte der Angeklagte am ersten Verhandlungstag Anfang November 2017 vor Gericht, habe er die Schadstoffe binden und damit unschädlich machen können. Dazu habe er den belasteten Müll mit Wasser und chemischen Zusätzen, etwa Eisen-2-Sulfat, versetzt. Herausgekommen sei ein Material, das sich sogar als Baustoff auf sanierungsbedürftigen Deponien verwerten ließ.

Es war der perfekte Deal. Alle Seiten profitierten. Die Abfallerzeuger, weil sie einen preiswerten Entsorgungsweg gefunden hatten. S.D.R. Biotec, weil das Geschäft florierte. Die Deponiebetreiber in Thüringen, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Bayern, weil sie ihre Löcher befüllen konnten.

„Die Schadstoffe sind nach der Behandlung stabil und können nicht durch Sickerwasser gelöst werden“, behauptete S. und berief sich dabei auch auf wissenschaftliche Untersuchungen der Universität Halle. Der 73-Jährige zeigte vor Gericht nicht die geringste Spur von Selbstzweifeln, geschweige denn von Reue. Stattdessen verwies er ganz unbescheiden auf die eigene Kompetenz. Gut vorstellbar, dass Jörg S. mit seinem selbstherrlichen Auftreten seinerzeit die Behörden beeindruckte, die den Betrieb in Pohritzsch genehmigten und fortan überwachen sollten.

Aufgeflogen ist Jörg S., weil er nicht genug kriegen konnte. Er schleuste immer mehr Abfall durch seine Anlage. Erst 120.000, dann 140.0000 und schließlich 160.000 Tonnen im Jahr, was etwa 6400 LKW-Ladungen entspricht. Alles mit Erlaubnis der Behörden, aber gegen den Willen mancher Bewohner in einem nahegelegenen Neubaugebiet. Die fingen an, sich über den zunehmenden Verkehr zu beschweren. Trotz der Beschwerden wollte Jörg S. sogar auf 200.000 Tonnen erhöhen. Eine Provokation. Der Gegenwind wurde stärker. Der lokale Bürgerverein „Sauberes Delitzscher Land“ sowie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) aus Berlin schalteten sich ein. Jetzt war jemand alarmiert, der die Anlage kritischer beäugte als die zuständigen Behörden.

Die DUH unternahm beispielsweise eigene Untersuchungen. 2008 stellte sie fest, dass zu viel Staub von der Anlage ausging. 2009 ergaben Proben, dass der Boden in der Umgebung mit Schwermetallen belastet war. 2010 legte der Bürgerverein nach und zeigte die Firma wegen des Verdachts der Scheinverwertu…