Lindower Heide: Der Hauptangeklagte setzte sich ins Ausland ab

Der Hauptbeschuldigte im Strafverfahren um die illegale Müllentsorgung in einer Kiesgrube im südlichen Brandenburg wurde mit internationalem Haftbefehl gesucht. Er wurde mittlerweile gefasst. Der Prozess vor dem Potsdamer Landgericht zieht sich trotzdem weiter hin.

Es hieß, er sei krank und könne der Verhandlung am Landgericht Potsdam nicht mehr folgen. Tatsächlich hatte sich der Hauptangeklagte im Strafprozess um die illegale Entsorgung von tausenden Tonnen Müll in der Kiesgrube „Lindower Heide“ bei Niedergörsdorf nach Holland abgesetzt, wie ein Gerichtssprecher auf Nachfrage bestätigte. Erst mit einem europäischen Haftbefehl habe die zuständige Strafkammer den 43 Jahre alten Unternehmer nun zurück in den Gerichtssaal holen können.

Der Stuhl, auf dem der Mann seit Eröffnung der Hauptverhandlung im Dezember 2016 regelmäßig Platz nahm, war zuletzt immer leer geblieben. „Der Angeklagte ist auch heute nicht erschienen“, hatte der Vorsitzende Richter etwa im April dieses Jahres angemerkt. Es war bereits der dritte Verhandlungstag in Folge, an dem der Beschuldigte fehlte. Und es war nicht der letzte. Insgesamt fünf Monate blieb er dem Gerichtsverfahren fern. Aus gesundheitlichen Gründen, wie die Verteidigung erklärte. Ihr Mandant sei nicht verhandlungsfähig.

Genauere Angaben zur Erkrankung machten die Anwälte in Gegenwart von Journalisten nicht, nur Andeutungen. „Es geht über einen körperlichen Eingriff hinaus“, sagte einer von ihnen in der öffentlichen Verhandlung und verwies auf ein ärztliches Attest, das dem Gericht vorgelegt worden sei. Auch auf Anfrage äußerte sich die Verteidigung nicht dazu. So bleibt das Krankheitsbild des Angeklagten für die Öffentlichkeit nebulös.

Der Hauptangeklagte im November 2017 vor dem Potsdamer Landgericht. Da konnte er der Verhandlung noch folgen. Foto: muellrausch.de

Offenbar konnten die Verteidiger aber auch die zuständige Strafkammer nicht vollends über den Verbleib ihres Mandanten aufklären. Die Richter hatten zwar entschieden, die Verhandlung ohne den Angeklagten fortzusetzen. Doch bereits nachdem er das erste Mal gefehlt hatte, hatten sie auch den ersten Haftbefehl erlassen. Weitere sollten folgen. „Nachdem es Hinweise auf den Aufenthalt des Angeklagten in den Niederlanden gab, erließ die Staatsanwaltschaft einen europäischen Haftbefehl“, teilte der Sprecher des Landgerichts auf Nachfrage mit. Daraufhin sei der Mann am 25. April von der niederländischen Polizei verhaftet, rund zwei Wochen später gegen Kaution aber zunächst wieder auf freien Fuß gesetzt worden.

Flucht nach Holland

Im Gespräch erklärte einer der Anwälte am Freitag vor anderthalb Wochen den Grund für den Holland-Aufenthalt seines Mandanten: Er sei bei seiner Familie gewesen, die Ehefrau stamme aus Holland, die Tochter besuche dort die Schule, sagte er im Flur des Gerichtsgebäudes.

Die Strafkammer in Potsdam hatte das Fernbleiben von der Verhandlung dennoch als Flucht gewertet und ihrerseits ebenfalls einen europäischen Haftbefehl ausgestellt. So war der Angeklagte am 11. Juli erneut festgenommen und am 1. August nach Deutschland ausgeliefert worden. Seitdem sitzt er in der Justizvollzugsanstalt Wulkow in Neuruppin.

Am 20. August nahm er auch wieder auf der Anklagebank im Landgericht Platz. Zuvor hatte er sich von einem Psychiater begutachten lassen müssen. „Auf Grundlage eines Gesprächs“, so der Gerichtssprecher, sei der Arzt zu der Einschätzung gekommen, dass der Angeklagte sehr wohl verhandlungsfähig sei. Es müsse nur nach jeder Stunde eine zehnminütige Pause eingelegt werden. Eine körperliche Untersuchung soll der Angeklagte verweigert haben.

Notarzt gerufen

Am daraufgolgenden Freitag sollte die Verhandlung weitergehen. Doch der Angeklagte erreichte nicht den Verhandlungssaal. In der Vorführzelle des Gerichts erlitt er einen Zusammenbruch. Ein Notarzt wurde gerufen und der 43-Jährige in ein Krankenhaus gebracht, das er am Abend wieder verlassen konnte. Von der Klinik musste er zurück ins Gefängnis. Dort wartet er auf den nächsten Verhandlungstermin.

Die Staatsanwaltschaft Potsdam wirft dem Mann vor, im großen Stil Abfälle in der Kiesgrube „Lindower Heide“ verklappt zu haben. Als Grubenbesitzer und Betreiber einer nahegelegenen Abfallbehandlungsanlage in Malterhausen (Landkreis Teltow-Fläming) soll er zwischen Dezember 2005 und September 2007 mehr als 300.000 Tonnen Haus- und Gewerbemüll, Klärschlamm, medizinische Abfälle und schadstoffhaltigen Bauschutt in dem Tagebauloch rechtswidrig entsorgt und auf diese Weise Einnahmen von insgesamt rund 6,5 Millionen Euro erzielt haben. Ursprünglich waren auch zwei seiner ehemaligen Mitarbeiter angeklagt. Der eine war vor Eröffnung der Hauptverhandlung verstorben. Das Verfahren gegen den anderen wurde im Mai dieses Jahres gegen Auflagen eingestellt.

Ein Abschluss des langjährigen Strafverfahrens gegen ihren Ex-Chef ist aufgrund der jüngsten Vorfälle noch immer nicht absehbar. Die Verteidigung stellt den Befund des gerichtlich beauftragten Psychiaters in Frage und kündigte weitere Belege für die Verhandlungsunfähigkeit ihres Mandanten an.

Dieser Text ist in ähnlicher Form auch in der Tageszeitung Potsdamer Neueste Nachrichten erschienen: „Müllpate“ setzte sich ins Ausland ab

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