Wie die Organisierte Kriminalität Strohmänner rekrutiert

Das Organisierte Verbrechen in Deutschland nutzt zunehmend und systematisch suchtkranke und obdachlose Menschen aus Polen als sogenannte Strohleute. Das haben die beiden Investigativ-Journalisten Adrian Bartocha und Jan Wiese in ihrem neuen Film aufgedeckt – und damit bei uns Erinnerungen an die illegale Deponie im polnischen Sarbia geweckt.

Die Recherche der beiden Journalisten beginnt im polnischen Legnica, vier Autostunden von Berlin entfernt. In der rund 100.000 Einwohner zählenden Stadt begeben sie sich auf die Suche nach Strohleuten. Sie haben die Namen von zwölf Personen, die von hier aus rund 80 Firmen aus ganz Deutschland führen sollen. Immobilien-Handel, Büro-Service, Import, Export, Auto-Handel, Bau – alle möglichen Branchen sind vertreten.

Es stellt sich heraus: Die Personen, die die beiden Journalisten finden, wissen gar nicht, dass sie als Geschäftsführer oder auch Eigentümer deutscher Unternehmen eingesetzt wurden. Sie wirken auch nicht so, als seien sie in der Lage, die Geschicke von Firmen zu lenken. Sie sind alkoholabhängig, drogensüchtig, psychisch krank.

Marode Firmen

Da stellt sich die Frage, wer ein Interesse daran haben könnte, dass diese Menschen offiziell als Geschäftsführer und Firmeninhaber fungieren. Ihre Recherche führt die beiden Journalisten zu Unternehmern in Deutschland, deren Firmen in finanzielle Schwierigkeiten geraten sind und diese loswerden wollen. Der Berliner Rechtsanwalt Felix Haug erklärt, was dahinter steckt. Es gehe darum, sich vor strafrechtlichen Risiken zu schützen. „Wenn die Firma den Bach runtergeht, will man nicht dafür haften“, sagt Haug im Film.

Haug ist spezialisiert auf Strafrecht, war etwa einer der Verteidiger im Prozess um die „Lindower Heide“, eine illegale Deponie im Süden Brandenburgs. Offensichtlich kennt er sich auch mit anderen schmutzigen Geschäften aus. So erzählt er, dass es Personen gebe, die schnelle Lösungen für marode Firmen versprechen. Im Internet werde offen dafür geworben.

Doch wer sind diese Anbieter? Dem Film zufolge handelt es sich um Beratungsfirmen. Als die Journalisten Bartocha und Wiese eine dieser Firmen aufsuchen, stehen sie vor einem Zaun, dahinter ein Schuppen und Baumaterial. Offizieller Geschäftsführer sei ein Handwerker. Auch nur ein Strohmann?

„Dienstleister“ für das Organisierte Verbrechen

Offenbar sind es diese „Berater“, die für bankrotte Firmen aus Deutschland neue Eigentümer und Chefs beschaffen. Mitunter sind noch Mittelsmänner, im Film ein polnischer „Vermittler“, zwischengeschaltet. Laut einem Ermittler des Zolls soll es sich um „professionelle Dienstleister“ handeln, die im Auftrag krimineller Banden aus Deutschland Strohleute im Ausland rekrutieren.

Dem Organisierten Verbrechen auf der Spur: die Journalisten Adrian Bartocha (l.) und Jan Wiese.

Der Film erzählt, wie die Rekrutierung im polnischen Legnica abläuft. Potenzielle Kandidaten werden auf der Straße angesprochen. Ihnen werden ein paar hundert Złoty geboten. Dafür sollen sie nach Deutschland mitfahren und ihre Unterschrift unter irgendwelche Schriftstücke setzen. Notare spielen in dem Rekrutierungssystem eine wesentliche Rolle. Sie prüfen Personalien, die Unterschrift und die Geschäftsfähigkeit. Und sie sind offenbar unantastbar, wie im Film ein Steuerfahnder bedauert.

Die Journalisten können in Legnica nicht alle Strohleute finden, die sie auf dem Zettel haben. Einige sind tot, von der Polizei vermisst gemeldet oder einfach verschwunden.

Link zur Müllmafia

Die Fälle, die sie in ihrem Film schildern, erinnern an unsere Recherche zu Sarbia, einem Dorf in Polen. Am Rande des Dorfes befindet sich eine illegale Deponie mit haufenweise Müll aus Deutschland und Großbritannien. Pächter des betroffenen Grundstücks war mutmaßlich ein Obdachloser aus Posen. Derselbe Mann wurde etwa im gleichen Zeitraum in Berlin zum Geschäftsführer von zwei Firmen ernannt. Ob er tatsächlich die Geschäfte führte oder nur als Strohmann diente, können wir ihn nicht mehr fragen. Er starb im Juni 2021.

Die Suche in einer Unternehmensdatenbank führt über eine dieser Berliner Firmen zu einem Deutschen und über ihn schließlich zu einem weiteren Mann aus dem polnischen Posen. Auf dessen Namen liefen schon mehr als ein Dutzend deutsche Firmen. Aktuell sind es drei GmbH’s, aus dem Baugewerbe und der Glücksspielbranche. Ob er davon weiß? Nach dem Film von Adrian Bartocha und Jan Wiese darf man daran große Zweifel haben.

Die „ARD Story: Das Strohmann-Kartell – Dienstleister für die Mafia“