Gerichtsverhandlung im Fall S.D.R. Biotec steht kurz bevor – mit nur noch einem Beschuldigten auf der Anklagebank

Fünf Jahre nach Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Leipzig kommt endlich Bewegung in den Strafprozess gegen die Giftmüllfirma S.D.R. Biotec aus dem nordsächsischen Pohritzsch. Die Hauptverhandlung  am Landgericht Leipzig wird Anfang November beginnen. Allerdings wird von ursprünglich drei Beschuldigten nur noch einer auf der Anklagebank Platz nehmen müssen. Die Verfahren gegen die beiden anderen Angeklagten wurden jüngst eingestellt.

Rund eine Million Tonnen Industrieabfälle wurden durch die Anlage der S.D.R. Biotec geschleust. Foto: Bürgerverein „Sauberes Delitzscher Land“

Es war der 10. März 2011, als das sächsische Landeskriminalamt eine Razzia bei der S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH durchführte und damit das Ende einer unglaublichen Geschichte einläutete. Anfangs war es eine Erfolgsgeschichte. Am Ende einer der größten Müllskandale des Landes, mit dem sich sogar ein Untersuchungsausschuss im sächsischen Landtag befasste.

Der Reihe nach: Im Jahr 1999 erteilte die zuständige Behörde in Leipzig der Firma S.D.R. Biotec die Genehmigung für den Betrieb einer sogenannten Abfallimmobilisierungs-Anlage. Mit dieser Anlage, so das Versprechen der beiden S.D.R.-Geschäftsführer Hans-Peter R. und Jörg S., konnten sie toxischen Müll, der etwa mit Schwermetallen belastet ist, in harmlosen Abfall umwandeln und anschließend auf normalen Deponien einlagern oder als Deponiebaustoff sogar verwerten.

Industriemüll aus halb Europa

Diese Art der Entsorgung war insgesamt preisgünstiger als den giftigen Dreck auf speziellen Deponien für Sondermüll teuer zu beseitigen. Die S.D.R. konnte sich vor Anlieferungen kaum retten. Asche aus Kraftwerken, Schlämme aus Aluminiumhütten, Schlacke aus Stahlfabriken, Filterstaub aus Müllverbrennungsanlagen. Aus allen Winkeln der Bundesrepublik sowie aus Italien, Österreich, Slowenien und anderen Ländern Europas rollten Lastwagen den Dreck heran. An manchen Tagen stauten sich die Transporte vor den Toren der Anlage. Das Geschäft mit dem Giftmüll – es boomte.

Bis bei den zuständigen Überwachungsbehörden nach Hinweisen eines Bürgervereins und der Verbraucher- und Umweltschutzorganisation Deutsche Umwelthilfe Zweifel aufkamen, ob die Immobilisierungsanlage überhaupt funktionierte. Zu dieser Zeit war die Anlage bereits zehn Jahre in Betrieb und schätzungsweise rund eine Million Tonnen Abfall waren durchgeschleust und anschließend auf Deponien vor allem in Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen verscharrt worden.

Stilllegung, Pleite, Anklage

Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Leipzig bestätigten schließlich den schlimmsten Verdacht: Ihren Angaben zufolge wurden die giftigen Abfälle nicht ausreichend behandelt, fälschlicherweise als ungefährlicher Müll deklariert und damit illegal abgelagert.

Anfang 2012 stellte die S.D.R. offiziell den Betrieb ihrer Anlage ein und meldete wenig später Insolvenz an. Rund 700 Tonnen gefährlicher Abfall, der in einem Gebäude auf dem Betriebsgelände in Pohritzsch verblieb, warten seitdem auf ihre Entsorgung. Im Herbst desselben Jahres erhob die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die beiden S.D.R.-Geschäftsführer Hans-Peter R. und Jörg S. wegen des vorsätzlichen unerlaubten Betreibens einer Anlage. Einen leitenden Angestellten des Unternehmens klagte sie außerdem wegen Beihilfe an.

Von den drei Männern wird aber nur einer auf der Anklagebank im Landgericht Leipzig sitzen. Nach exklusiven Informationen von muellrausch.de wurden die Strafverfahren gegen Hans-Peter R. und den Angestellten im Juni 2017 gegen Geldauflagen in Höhe von 7.000 und 10.000 Euro eingestellt, wie ein Gerichtssprecher auf Anfrage berichtet.

Die Einstellung kommt überraschend, insbesondere im Fall von R.. Als Gesellschafter der S.D.R. und später auch als ihr alleiniger Geschäftsführer war der heute 73-Jährige für den Betrieb und die Geschäfte der Firma maßgeblich mitverantwortlich. Doch offenbar schätzt die Staatsanwaltschaft seine Rolle als weniger bedeutend ein, wie sich aus ihren Antworten auf Fragen von muellrausch.de schließen lässt (siehe weiter unten). Als Grund für die Einstellung führt sie unter anderem auch die lange Verfahrensdauer an.

Ob überhaupt jemand zur Verantwortung gezogen wird, wird sich bald zeigen. Am 1. November 2017 beginnt im Strafverfahren gegen Jörg S., den zweiten S.D.R.-Gesellschafter, langjährigen Geschäftsführer der Giftmüllfirma und einzig verbliebenen Angeklagten, die öffentliche Hauptverhandlung.

Weitere Verhandlungstermine: 8.11., 20.11., 29.11., 6.12., 13.12, 20.12. jeweils ab 9 Uhr.


Liebe Leserinnen und Leser, wenn Sie möchten, dass ich die juristische Aufarbeitung dieses Falls beobachte und auf muellrausch.de darüber berichte, dann unterstützen Sie bitte meine Recherchen. Vielen Dank! M.B.


muellrausch.de: Warum hat sich die Staatsanwaltschaft Leipzig mit der Einstellung des Verfahrens gegen Hans-Peter R. einverstanden erklärt?

Staatsanwaltschaft Leipzig: Die Staatsanwaltschaft hat sich auf Anregung der Strafkammer mit der Einstellung des Verfahrens einverstanden erklärt, da die Voraussetzungen des § 153a Abs. 2 StPO  vorliegen.

Nach Aktenlage war der Angeklagte R. in der Firma  S.D.R. Biotec Verfahrenstechnik GmbH zunächst nur für den Bereich „Verfahrenstechnik“ zuständig. Erst mit Abberufung des für den Bereich „Abfall“ zuständigen Geschäftsführers  wurde der Angeklagte R. alleiniger Geschäftsführer der GmbH, womit ihm auch die alleinige Zuständigkeit für diesen Geschäftsbereich zufiel. Kurz danach teilte der Angeklagte R. dem Landratsamt Nordsachsen mit, dass die GmbH zum 11.03.2011 auf die Annahme und Verarbeitung gefährlicher Abfälle verzichten werde.

Mit Anklage vom 25.09.2012 wurden Taten im Zeitraum von 2007-2010 angeklagt, sodass der Tatbeginn bereits mehr als 10 Jahre zurückliegt. Die Verfahrensdauer, in der sich der inzwischen 73-jährige Hans-Peter R. der Strafverfolgung ausgesetzt sieht, ist auch im Hinblick auf die Dauer der Anhängigkeit der Anklage von inzwischen fünf Jahren bei dem Landgericht erheblich.

Unter Berücksichtigung dieser Punkte war auch nach Auffassung der Staatsanwaltschaft die Zahlung einer Geldauflage von 7.000 Euro geeignet, das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung zu beseitigen. Die Schwere der Schuld hinsichtlich der dem Angeklagten R. zuzuweisenden strafrechtlichen Verantwortung steht diesem nicht entgegen.

Warum steht die Schwere des Tatvorwurfs und der möglichen Schuld („unerlaubtes Betreiben einer Anlage im besonders schweren Fall“) nicht dieser Einstellung entgegen?

Angesichts der nach Aktenlage bestehenden Verteilung der Verantwortungsbereiche, des Alters des Angeklagten und insbesondere wegen des mehrere Jahre zurückliegenden Tatzeitraumes und der langen Dauer der Anhängigkeit der Anklage bei Gericht nach Anklageerhebung im Herbst 2012 steht die Schwere des Tatvorwurfs einer Einstellung nicht entgegen.

Wird Herr R. im Verfahren gegen seinen ehemaligen Mitgeschäftsführer und den nun einzig verbliebenen Angeklagten Jörg S. aussagen? Ist diese Aussage Teil einer Vereinbarung zwischen Staatsanwaltschaft und der Verteidigung von Herrn R., die zur Einstellung des Verfahrens gegen Herrn R. führte?

Es ist naheliegend, dass das Landgericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht auch den vormaligen Angeklagten R. als Zeugen hören wird. Hierzu kann jedoch seitens der Staatsanwaltschaft im Verhältnis zum Landgericht, dem insoweit die Verfahrensführung und -leitung des Strafverfahrens obliegt, keine Aussage getroffen werden. Eine mögliche Aussage und deren Inhalt war nicht Gegenstand der mit Zustimmung von Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung erfolgten Einstellung des Strafverfahrens gegen den vormaligen Angeklagten R..

Die Fragen wurden per E-Mail gestellt und beantwortet.