Normalerweise führt die Reise durch Deutschland durch. Die bevorzugten Ziele dubioser Müllexporte liegen weiter im Osten. Doch zwischen November 2019 und Februar 2020 luden Dutzende Mülltransporte aus den Niederlanden ihre stinkende Fracht am Rande der Stadt Güstrow in Mecklenburg-Vorpommern ab.
Niederländischer Verpackungsmüll, Bücher und Firmenunterlagen auf Niederländisch, sogar ein niederländischer Ausweis – die Fundstücke, die das Landesamt für Umwelt, Naturschutz und Geologie (LUNG) Anfang 2020 auf der illegalen Deponie in Güstrow sicherstellte, deuteten früh auf fragwürdige Importe hin. Die Überraschung bei der für die Kontrolle des internationalen Abfallhandels zuständigen Behörde in Mecklenburg-Vorpommern muss groß gewesen sein. In den meisten Fällen, in denen das LUNG tätig werden muss, geht es um Exporte, vor allem um Ausfuhren nach Polen und Tschechien.
Bei Einfuhren aus den Niederlanden gab es bis dato kaum Probleme. Ganze acht „Verdachtsfälle“ zählte man in den vergangenen zehn Jahren. Güstrow sollte sich als der „mit Abstand größte und bedeutendste“ Fall herausstellen.
Importiert aus Holland wird in der Regel fürs Recycling oder die thermische Verwertung, also die Müllverbrennung, bei der aus Abfällen noch Energie gewonnen wird. Müll aus den Niederlanden landet zwar auch schon mal auf illegalen Deponien in Polen und Tschechien, wie wir bei unseren Recherchen in beiden Ländern festgestellt haben. Dass niederländische Abfälle schon vor den Grenzen im Osten einfach abgekippt und angehäuft werden, ist aber äußerst ungewöhnlich.
Mehrere Abfallproduzenten
Der holländische Müll in Güstrow soll laut Behörden von mehreren Firmen stammen. Eine dieser Firmen ist nach unseren Recherchen mutmaßlich ein bekannter Reifenhersteller. Wir haben Abfälle mit seinem Logo in Güstrow entdeckt.
Doch nicht die Abfallerzeuger haben den Müll nach Güstrow verfrachtet, wie uns deutsche und niederländische Behörden auf Nachfrage übereinstimmend berichteten. Verantwortlich soll nur eine Entsorgungsfirma aus den Niederlanden sein. Ihr haben die Erzeuger den Abfall übergeben – offenbar in der Annahme, dass alles ordnungsgemäß entsorgt wird. Diese Firma war es dann, die den Müll exportiert hat. Den Namen dieser Exportfirma wollten uns die Behörden nicht nennen.
Holländischer Exporteur holt Müll zurück
„Wir haben die Firma aufgefordert, den Müll zurückzuholen und das hat sie getan“, so die zuständige Stelle in den Niederlanden. Ab August 2022 traten exakt 1740 Tonnen Abfall die Rückreise nach Holland an. Für die niederländische Seite war damit der Fall erledigt.
Über das Zustandekommen des illegalen Abfallgeschäfts konnte oder wollte sie nicht viel verraten. „Wir können nur sagen, was uns die niederländische Firma berichtet hat“, hieß es auf Nachfrage. Demnach habe es aus Deutschland Interesse an Abfällen gegeben. Die niederländische Firma habe sich das Betriebsgelände in Güstrow angesehen und keinen Grund für Zweifel gehabt.
Zur Erinnerung: Das Gelände liegt in einem Trinkwasserschutzgebiet und in direkter Nachbarschaft zu einer Kleingartenkolonie. Für Müllablagerungen gab es keine Genehmigung.
Recherche mit dem NDR Spurensuche nach den Hintermännern
NDR-Podcast Güstrow im Sumpf der illegalen Abfallberge
Die illegale Deponie in Güstrow war mehr als zwei Jahrzehnte in Betrieb. Hier hatte schon lange niemand mehr genau hingesehen. Die Suche nach den Verantwortlichen erwies sich folglich als schwierig. Auf deutscher Seite ermittelte die Staatsanwaltschaft Rostock gegen mehrere Personen, konnte aber nur einen Verdächtigen dingfest machen. Er hatte in einem Wohnwagen auf dem Gelände in Güstrow gehaust, die Lastwagen eingewiesen und den Müll mit einem Radlader zusammengeschoben. Ende 2023 verurteilte ihn das Amtsgericht Güstrow zu einer Bewährungsstrafe – wegen Beihilfe. Ein kleiner Fisch. Die Hinterleute bleiben bis heute im Dunkeln.
Die illegale Deponie mit insgesamt fast 30.000 Tonnen Müll wurde mittlerweile vollständig beseitigt. Ein Teil auf Kosten der Exportfirma, die den niederländischen Müll zurückholen musste. Auf dem großen Rest blieb das Land Mecklenburg-Vorpommern sitzen. Entsorgungskosten: mehr als fünf Millionen Euro.
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