Mammutprozess um das größte aller dunklen Löcher: Landgericht Stendal verurteilt die beiden Hauptangeklagten zu Haftstrafen (Update 24.3.2020)

Sieben Beschuldigte, 250 Umzugskartons voll mit Akten, eine zusätzliche Richterstelle und Verfahrenskosten in Millionenhöhe: Der Mammutprozess um die illegale Mülldeponie in der Tongrube Vehlitz (Sachsen-Anhalt) kam gestern zu einem Ende. Das Landgericht Stendal verurteilte die beiden Hauptangeklagten zu Haftstrafen.

Blick auf die alte Ziegelei und die Tongrube Vehlitz

Zwölf Jahre ist es her, dass das schmutzige Geschäft im Jerichower Land aufgeflogen ist. Ein Privatdetektiv hatte sich auf die Lauer gelegt und im Auftrag der Konkurrenz Beweise gesammelt. Journalisten waren Informationen zugespielt worden. Wenig später hatte das ZDF berichtet. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich auch schon das Bundeskriminalamt mit diesem und vielen weiteren Fällen befasst – und eine bundesweite Abfallverschiebung in Tagebaue und Altdeponien festgestellt.

Abfallverschiebung von West nach Ost

Die Verschiebung lief vor allem in eine Richtung: von West nach Ost, von den alten in die neuen Bundesländer. Mehr als 50 Tatorte hatte das BKA bundesweit lokalisiert, die meisten davon in Brandenburg. Darunter die dunklen Löcher des verurteilten Müllbarons Bernd R. sowie die Kiesgrube von Björn S., der sich wegen des Vorwurfs illegaler Entsorgung seit mehr als drei Jahren in einem Strafprozess am Landgericht Potsdam verteidigen muss und nach einem Fluchtversuch zurzeit in Haft sitzt.

Das größte aller dunklen Löcher aber, das war die Tongrube Vehlitz in Sachsen-Anhalt. In dem ausgebeuteten Tagebau wurden laut Staatsanwaltschaft Stendal zwischen September 2005 und März 2008 rund 900.000 Tonnen Müll illegal verscharrt. Entgegen einem vom Bergamt zugelassenen Betriebsplan, der lediglich die Verfüllung des Tagebaulochs mit überwiegend mineralischen Stoffen erlaubte, wurde Material mit einem überhöhten organischen Anteil – insbesondere Hausmüll und hausmüllähnlicher Gewerbeabfall – entsorgt. Es kam zu einer Verunreinigung des Bodens und zur Bildung giftiger Gase. Sanierungskosten laut Anklage: 19 Millionen Euro.

30 Millionen Euro Sanierungskosten

Die Sanierung dauert heute noch an. Die tatsächlichen Kosten erreichen mittlerweile die Marke von 30 Millionen Euro. Geld, das zum größten Teil die Steuerzahler aufbringen müssen. Von dem Unternehmen, das die Grube betrieben hat, ist nichts mehr zu holen. Die Firma ist längst insolvent. Immerhin steuerte der französische Konzern Veolia, der über eine Beteiligung an einer anderen Gesellschaft und über Abfalllieferungen in das Verklappungsgeschäft verwickelt war, siebeneinhalb Millionen Euro als Wiedergutmachung bei.

Verantwortlich für den Müllskandal sollen im Wesentlichen der Grubenbetreiber Edgar E. und sein Geschäftsführer Stefan S. gewesen sein. In dem Stendaler Prozess, der vor mehr als drei Jahren eröffnet wurde, waren sie die Hauptangeklagten – und wurden am Montag, den 16. März 2020, nach rund 150 Verhandlungstagen zu empfindlichen Haftstrafen verurteilt. S. muss demnach für drei Jahre und drei Monate ins Gefängnis. Bei Edgar E., der faktisch die Geschäfte führte, fiel die Strafe noch etwas härter aus. Ihm brummte das Gericht viereinhalb Jahre Freiheitsentzug auf. Außerdem zieht es von ihm 165.000 Euro ein, die er mit den schmutzigen Deals verdient haben soll. Der Betrag entspreche Provisionszahlungen eines Abfalllieferanten auf ein Schwarzgeldkonto in der Schweiz, wie ein Gerichtssprecher gestern auf Nachfrage verriet.

Auch K. W. Bernhard K. (korrigiert am 24.3.20), ein Gehilfe aus dem Firmenreich von Veolia (ergänzt am 24.3.20), kassierte eine Haftstrafe, eineinhalb Jahre, die allerdings zur Bewährung ausgesetzt wurde. Drei weitere Männer, unter ihnen der Müllmanager Matthias R., ebenfalls Veolia, wurden freigesprochen. Der siebente Angeklagte war bereits vor anderthalb Jahren aus der Verhandlung ausgeschieden.

Nicht der letzte Richterspruch

Mit dem Urteil blieb das Gericht deutlich unter den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Die hatte für E. sechseinhalb Jahre Gefängnis und eine Gewinnabschöpfung von 3,4 Millionen Euro und für S. sechs Jahre Haft und die Einziehung von 425 000 Euro gefordert. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, die Beteiligten können binnen einer Woche Revision einlegen.

Unabhängig davon, ob Staatsanwaltschaft oder Verteidigung die nächste Instanz anstreben – für die Angeklagten ist der Prozess-Marathon noch nicht beendet. Bis auf K.W. Bernhard K. sitzen dieselben Akteure seit September 2015 noch in einem ähnlich gelagerten Fall (Tongrube Möckern, Jerichower Land) auf der Anklagebank. Auch hier fordert die Staatsanwaltschaft hohe Haftstrafen. Bei Edgar E. kommt hinzu: Wegen Bestechung des ehemaligen Landrats in Zusammenhang mit den dreckigen Geschäften wurde er im Juni 2017 bereits zu einer dreieinhalbjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Auch dieser Richterspruch ist noch nicht rechtskräftig. Am Ende dürfte ein Urteil stehen, das alle Entscheidungen zu einer Gesamtstrafe verbindet.

Update 24. März 2020
Die beiden Hauptbeschuldigten haben erwartungsgemäß Rechtsmittel gegen ihre Verurteilung eingelegt. Auch die Staatsanwaltschaft fechtet die richterliche Entscheidung an. Jetzt muss sich der Bundesgerichtshof (BGH) damit auseinandersetzen, wie ein Sprecher des Landgerichts Stendal heute auf Nachfrage berichtete. „Das Urteil wird durch den BGH komplett überprüft“, sagte er. Demnach ist auch die Bewährungsstrafe für den mutmaßlichen Gehilfen noch nicht rechtskräftig. Hier hat die Verteidigung nach der nächsten Instanz gerufen. Die Staatsanwaltschaft hingegen hat noch gegen die drei Freisprüche Revision eingelegt. In einem Fall geht selbst der Freigesprochene gegen das Urteil vor. Gänzlich unbeschadet kam er offenbar doch nicht davon. Wegen einer Falschaussage sei der Mann verwarnt worden, so der Sprecher des Stendaler Gerichts. Ob er wegen dieser Verwarnung vor den BGH zieht, ist allerdings fraglich. Womöglich geht es auch um Verfahrenskosten. Dazu wusste der Gerichtssprecher aber nach eigener Aussage nichts Näheres zu berichten.


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