Gedränge auf der Anklagebank in Stendal und in Potsdam ein Zeuge aus einer sogenannten Risikogruppe: Aus Angst vor dem Coronavirus legen zwei große Müllprozesse derzeit eine Zwangspause.
Während der Mammutprozess um das größte aller dunklen Löcher mit Haftstrafen für die beiden Hauptbeschuldigten am 16. März vorläufig endete, steht das Parallelverfahren um die Tongrube Möckern, bei dem nahezu dieselben Männer auf der Anklagebank im Landgericht Stendal sitzen, seit zwei Wochen still. Die im Jahr 2015 eröffnete und seitdem wöchentlich geführte Hauptverhandlung um die illegale Entsorgung von rund 300.000 Tonnen Müll sollte am 19. März fortgesetzt werden. Dazu kam es aber nicht. Seinerzeit begründete ein Gerichtssprecher gegenüber muellrausch.de die Unterbrechung damit, dass eine Schöffin erkrankt sei. Auch in der Folgewoche fielen die Verhandlungstermine aus. Und auch diese Woche geht es nicht weiter. „Wegen Corona“, wie es auf erneute Nachfrage nun kurz und knapp heißt. Eine Fortsetzung sei für den 16. April vorgesehen. Es ist fraglich, ob dieser Termin eingehalten werden kann.
Neue gesetzliche Regel zur Unterbrechung von Strafprozessen
In normalen Zeiten dürften zwischen zwei Verhandlungsterminen nicht mehr als drei, bei einem längeren Verfahren wie diesem nicht mehr als vier Wochen liegen – sonst platzt der Prozess. In Coronazeiten gilt diese Frist nun aber nicht mehr. Dafür hat die Bundesregierung mit einer neuen gesetzlichen Regelung, die am vergangenen Samstag (28.3.) in Kraft getreten ist, gesorgt. Derzufolge dürfen Strafprozesse jetzt auch länger pausieren. Eine Unterbrechung kann nun bis zu drei Monate und zehn Tage dauern. Die neue Regel ist zunächst für ein Jahr gültig. „Die Coronakrise stellt auch die Justiz vor große Herausforderungen. Strafprozesse mit vielen Beteiligten in den Gerichtssälen können in nächster Zeit kaum stattfinden. Wir stellen sicher, dass die Prozesse nicht platzen und von neuem beginnen müssen“, so Bundesjustizministerin Christine Lambrecht (SPD).
Inwiefern Corona im Möckern-Verfahren zur Unterbrechung geführt hat, ließ der Sprecher des Landgerichts Stendal allerdings offen. Auf der Anklagebank geht es gedrängt zu. Neben insgesamt sechs Beschuldigten sitzen rund ein Dutzend Anwälte, die sie vertreten. Es ist daher vorstellbar, dass Abstandsregeln, wie sie zum Schutz vor einer Infektion mit dem Coronavirus empfohlen werden, bei herkömmlicher Sitzverteilung nicht einzuhalten sind.
Kein Sicherheitsabstand für Zeugen im Landgericht Potsdam
Deutlich mehr Platz bietet die Anklagebank in dem seit Dezember 2016 andauernden Müllprozess am Landgericht Potsdam. Hier geht es um 330.000 Tonnen Abfall, die laut Staatsanwaltschaft in der Kiesgrube Lindower Heide entsorgt worden sind. Von ursprünglich drei Angeklagten ist nur noch einer geblieben, der Hauptbeschuldigte. Dennoch hat auch hier die zuständige Strafkammer am Landgericht die Verhandlungstermine, die für diese Woche angesetzt waren, aufgehoben.
Bis zu drei Verteidiger umgeben den Angeklagten. Doch das ist nicht der Grund für die Aufhebung. Es geht vielmehr um einen wichtigen Zeugen, der als Sachverständiger gehört werden sollte. Der Mann zähle zur vom Virus bedrohten Risikogruppe, wie ein Gerichtssprecher mitteilte. Und weiter: Die Einhaltung des empfohlenen Sicherheitsabstandes könne im Gerichtssaal nicht gewahrt werden. Beides habe die Kammer zu ihrer Entscheidung veranlasst, die Termine abzusagen. Wann es weiter geht, werde aktuell besprochen. Es dürfte sich dabei zudem die Frage stellen, sowohl im Stendaler als auch im Potsdamer Verfahren: Wie geht es weiter?