Tongruben Möckern und Vehlitz: Haftstrafen und letzte Worte in „einem der größten Umweltstrafverfahren“

Nach vier Jahren, sieben Monaten und 27 Tagen war es soweit: Richterin Simone Henze- von Staden, Vorsitzende der 1. Strafkammer am Landgericht Stendal, verkündete am 30. April 2020 das Urteil im Strafprozess um die illegale Mülldeponie in der Tongrube Möckern.

Am 26. Juni 2008 leitete die Polizei das Ermittlungsverfahren ein und trug mehr als 45.000 Seiten Aktenmaterial zusammen. Am 18. September 2012 erhob die Staatsanwaltschaft Stendal Anklage. Die Anklageschrift umfasst 325 Seiten. Am 3. September 2015 eröffnete die 1. Strafkammer des Landgerichts Stendal die Hauptverhandlung. Dutzende Zeugen wurden seitdem gehört, unzählige Urkunden – Bilanzen, Kontoauszüge, Behördendokumente etc. – verlesen. Ein Mammutverfahren.

2018 war noch „Kein Ende in Sicht“ (Volksstimme). Es sah auch 2019 nach einem „Verfahren in Endlosschleife“ (junge Welt) aus. Anfang dieses Jahres dann ein entscheidender Schritt in dem Müllprozess: Die Strafkammer lehnte den Beweisantrag der Verteidigung, ein neues Gutachten zum Ausmaß der illegalen Entsorgung in der Tongrube Möckern einzuholen, endgültig ab. Dieser Beschluss vom 23. Januar 2020 war eine Art Vorentscheidung. Keine zwei Monate später hieß es, dass ein Urteil unmittelbar bevor stünde.

Corona kam dazwischen. Wegen der Pandemie wurde die Hauptverhandlung für sechs Wochen unterbrochen. Nun wurde es der 30. April. Ein Donnerstag, der 135. Verhandlungstag. Er begann mit den letzten Schlussvorträgen. Die anderen waren schon gehalten, die Staatsanwaltschaft forderte Haftstrafen, Verteidiger plädierten auf Freispruch. Zwei mit Spannung erwartete Plädoyers standen aber noch aus.

Den Anfang machte Regina Michalke, Fachanwältin für Strafrecht einer Kanzlei in Frankfurt am Main und eine Kennerin der  sogenannten Verwaltungsakzessorietät. Michalke hat über das „Verwaltungsrecht im Umweltstrafrecht“ promoviert. Ihr Vortrag, den ein anderer Verteidiger als „hohe Mathematik“ bezeichnete, dauerte geschlagene drei Stunden. Selbst wenn Abfälle eingelagert worden wären, die nicht von der bergrechtlichen Genehmigung gedeckt waren, hätte es sich allenfalls um einen Verstoß gegen Auflagen gehandelt, sagte sie etwa – und forderte den Freispruch für ihren Mandanten: den Müll-Manager Matthias R., der zur Tatzeit vor fast 15 Jahren für Sulo, damals einer der größten Entsorgungskonzerne in Europa, tätig gewesen war. Zu seinen Tätigkeiten hatte die Geschäftsführung einer Sulo-Tochter in Sachsen-Anhalt gehört. Diese Firma soll – neben anderen Lieferanten – im großen Stil Abfälle in die Tongruben Vehlitz und Möckern verschoben haben.

Obwohl nahezu dieselben Männer auf der Anklagebank saßen, die Tatzeit sich überschnitt und die Tatvorwürfe sich glichen, wurden die Gruben in zwei getrennten Verfahren vor verschiedenen Strafkammern des Landgerichts Stendal verhandelt. Der zweite Schlussvortrag an diesem Tag und damit der letzte im gesamten Prozess nahm dennoch beide Fälle in den Blick: Zusammengenommen habe es sich um eines der größten Umweltstrafverfahren gehandelt, sagte der Berliner Rechtsanwalt Alexander Sättele. Ein größeres nannte er nicht. Seine Themen: die lange Verfahrensdauer („eine Zumutung für alle Beteiligten“), die hohen Verfahrenskosten („mehrere Millionen Euro“) und die Fehlergefahr in derart umfangreichen Verfahren („Umfangsverfahren“).

Die eklatantesten Fehler leistete sich nach Ansicht der Verteidigung wohl aber der Gutachter, den die Staatsanwaltschaft mit der Untersuchung des verklappten Mülls beauftragt hatte. Die Kritik reichte von „fehlender Zertifizierung als Sachverständiger“ über eine „fragwürdige Untersuchungsmethode“ bis hin zu „falschen Angaben vor Gericht“. Rechtsanwalt Sättele wählte in seinem Schlussvortrag noch drastischere Worte: „Nach meinem Dafürhalten handelt es sich bei dessen Gutachten um das Blendwerk eines Gescheiterten, dem diese Hauptverhandlung die einmalige und hoffentlich letztmalige Gelegenheit bot, eine Methode, die sich weder in der wissenschaftlichen Diskussion noch am Markt durchgesetzt hat, auf großer Bühne zu präsentieren.“

Das letzte Wort auf der Gerichtsbühne blieb aber wie üblich den sechs Angeklagten vorbehalten. Der Hauptbeschuldigte Edgar E. sagte jedoch nur, dass er nichts zu sagen habe. Der Unternehmer machte also, was er an allen Verhandlungstagen zuvor und auch in anderen Verfahren schon praktizierte: Er schwieg. Jetzt – wegen Corona – hinter einer Schutzmaske. Auch im Vehlitz-Verfahren, das am 16. März dieses Jahres ein vorläufiges Ende fand, und im Korruptionsprozess um den früheren Landrat des Jerichower Landes, den Edgar E. in Zusammenhang mit den Verklappungsgeschäften bestochen haben soll, behielt er sein Wissen für sich. Das Schweigen schützte ihn nicht vor Verurteilungen. In beiden Verfahren wurden Edgar E. Haftstrafen auferlegt. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig.

E. gilt als die zentrale Figur in dem gesamten Komplex. Er war Miteigentümer der Gruben. Faktisch soll er laut Staatsanwaltschaft die Geschäfte geführt haben. Bis auf Matthias R. waren alle anderen Angeklagten im Möckern-Prozess bei ihm angestellt.

Stefan S., zur Tatzeit offiziell Geschäftsführer in E.‘s Unternehmen und im Vehlitz-Prozess ebenfalls zu Freiheitsentzug verurteilt, nutzte seine Schlussworte für eine kurze Wutrede: „Wir haben jahrelang mit den Behörden zusammengearbeitet. Wir waren zu Beratungen im Wirtschaftsministerium. Das Bergamt hat nie unseren Betriebsplan geändert. Wir haben uns von Fremdlaboren überprüfen lassen, zertifizierte Labore, die auch für die Kriminalpolizei arbeiten. Uns vorzuwerfen, dass wir betrogen haben sollen, ist eine Sauerei.“

Die restlichen Angeklagten verzichteten auf ein letztes Wort oder beteuerten in aller Kürze noch einmal ihre Unschuld. Sie hofften, dass sie wie zuvor im Vehlitz-Verfahren vom Vorwurf der Beihilfe freigesprochen würden. Doch bei der Tongrube Möckern lagen die Dinge etwas anders. Aus diesem Verfahren sollte niemand straffrei herauskommen.

Zwei Stunden zog sich die Strafkammer zur Beratung zurück. Pünktlich um 16.30 Uhr, wie von ihr angekündigt, betrat sie wieder den Gerichtssaal. Alle Anwesenden in Saal 218 des Landgerichts in Stendal erhoben sich von ihren mit 1,50-Meter-Corona-Abstand eingerichteten Plätzen und die Vorsitzende Richterin Simone Henze-von Staden verkündete die Entscheidungen:

  • Edgar E.: 3 Jahre Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Betreibens einer Anlage und unerlaubten Umgangs mit Abfällen;
  • Stefan S.: 2 Jahre Freiheitsstrafe wegen unerlaubten Betreibens einer Anlage und unerlaubten Umgangs mit Abfällen, ausgesetzt zur Bewährung;
  • Ex-Sulo-Manager Matthias R.: 1 Jahr und 6 Monate Freiheitsstrafe wegen Beihilfe, ausgesetzt zur Bewährung.

Die drei weiteren Angeklagten wurden wegen Beihilfe zu Freiheitsstrafen von 11 Monaten, von 1 Jahr sowie von 1 Jahr und 6 Monaten verurteilt, jeweils ausgesetzt zur Bewährung.

Bei allen Verurteilten gelten vier Monate der Freiheitsstrafe als vollstreck…